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Migräneprophylaxe mit der sinCephalea App
Regelmäßige Migräneattacken habe ich seitdem ich 14 bin. Zwischen meinem 30. und 40. Lebensjahr allerdings haben sich die Anfallshäufigkeit und Schmerzintensität extrem verschlimmert. Ich reduzierte meine Tätigkeit als selbstständige interkulturelle Trainerin immer mehr und nahm eine Teilzeitstelle an. Und ging – wie so viele Betroffene mit Migräne im Job – häufig krank und auf Akut-Medikamenten zur Arbeit.
Mit 20 bis 25 Schmerztagen im Monat war ich irgendwann nicht mehr in der Lage zu arbeiten und musste mich erstmals im August 2015 für längere Zeit krankmelden. Aus einer Woche wurden zwei, dann drei, dann vier – bis ich schließlich in eine psychosomatische Klinik ging, weil es mir psychisch sehr schlecht ging und ich an Migräne & Depression litt. Ich wollte unbedingt wieder gesund werden und arbeiten, so setzte ich mich damit ziemlich unter Druck.
Mein Leidensweg nahm seinen Lauf: Ich bekam erst Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (6 Wochen), dann Krankengeld (18 Monate) und fiel dann in die Erwerbsminderungsrente. Das war allerdings genau der Zeitpunkt, zu dem ich endlich anfing meine Krankheit zu akzeptieren und nicht mehr gegen sie anzukämpfen. Jetzt war „der Ofen aus“, „das Kind in den Brunnen gefallen“, jetzt war „eh alles egal“. Im Nachhinein ein wichtiger Wendepunkt auf meinem Weg der Besserung.
Was ist die Erwerbsminderungsrente?
Bist du aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage mehr als 6 h täglich zu arbeiten, kann eine Erwerbsminderungsrente dein Einkommen ersetzen oder aufstocken. Dabei werden diese beiden Formen voneinander unterschieden 1:
- Volle Erwerbsminderungsrente: wenn du wegen Krankheit oder Behinderung gar nicht mehr oder nur noch weniger als 3 Stunden täglich arbeiten kannst
- Teilweise Erwerbsminderung: wenn du wegen Krankheit oder Behinderung mehr als 3 Stunden aber weniger als 6 Stunden täglich arbeiten kannst
Eine Erwerbsminderungsrente wird im Normalfall nur für einen befristeten Zeitraum genehmigt. Da sich dein Gesundheitszustand jederzeit wieder bessern kann, wird regelmäßig überprüft, ob noch ein Anspruch besteht. Ich habe sie z.B. für 2 Jahre genehmigt bekommen und musste dann einen Antrag auf Weiterzahlung stellen.
Mein Tipp: tu dies am besten so früh wie möglich, denn die Bearbeitung deines Antrags kann mehrere Monate bis zu einem Jahr dauern. Mich hat diese Unsicherheit, ob ich weiter EM-Rente ausbezahlt bekomme oder nicht, immer sehr gestresst.
Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente mit Migräne
Laut einer Infobroschüre der DRV sowie der VDK (2018) sind die Hürden für den Erhalt der Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) sehr hoch. 40% der Anträge werden abgelehnt. Denn um eine EM-Rente zu erhalten, musst du gewisse versicherungsrechtliche sowie medizinische Voraussetzungen erfüllen 1:
Versicherungsrechtliche Voraussetzungen
- Du hast die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht. Das ist der Zeitpunkt, ab dem du die reguläre Altersrente beziehen kannst.
- Du warst mindestens fünf Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung in der Deutschen Rentenversicherung versichert (die sogenannte allgemeine Wartezeit)
- Du hast mindestens drei Jahre in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung Pflichtbeiträge in die Rentenversicherung eingezahlt (zum Beispiel im Rahmen einer versicherten Beschäftigung)
Medizinische Voraussetzungen
- Du bist wegen Krankheit oder Behinderung (gdb) bei Migräne nicht mehr in der Lage zu arbeiten oder nicht mehr in der Lage mehr als 3 (voll erwerbsgemindert) oder 6 Stunden täglich (teilweise erwerbsgemindert) zu arbeiten
- Zusätzlich prüft die Deutsche Rentenversicherung ob sich dein gesundheitlicher Zustand und somit deine Arbeitsfähigkeit durch medizinische oder berufliche Rehabilitationsmaßnahmen verbessern oder sogar wiederherstellen lässt.
- Ist dies nicht der Fall, wird geprüft wie viel du noch arbeiten kannst um zu beurteilen ob du voll oder teilweise erwerbsgemindert bist.
Wie hoch ist die Erwerbsminderungsrente?
Die Höhe der Erwerbsminderungsrente ist abhängig von dem Rentenanspruch, den du bisher erworben hast. Unter anderem ist die Höhe abhängig davon, wie lange und wie viel du in die Rentenversicherung einbezahlt hast. In der Renteninformation, die du jährlich von der Deutschen Rentenversicherung erhältst, steht die Höhe deiner zu erwartenden EM-Rente 2,3.
Hier eine Übersicht, die dir zeigt, wieviel EM-Rente durchschnittlich monatlich in Euro in den Jahren 2000 bis 2015 ausgezahlt wurde 3 :
Da die Lebenshaltungskosten immer mehr steigen, gab es in den letzten Jahren regelmäßig Rentenanpassungen, also leichte Erhöhungen der Auszahlungsbeträge. Auch die Diskrepanz zwischen Ost und West ist seit diesem Jahr endlich ausgeglichen 4.
Gut zu wissen!
Bekommst du die volle Erwerbsminderungsrente erhältst du den vollen Betrag. Die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist genau die Hälfte davon. Dafür darfst du neben der teilweise EM-Rente mehr dazu verdienen 1.
Wieviel darfst du neben der EM-Rente verdienen?
Wenn du eine Erwerbsminderungsrente erhältst, gelten gewisse Hinzuverdienstgrenzen. Verdienst du darüber hinaus, wird dir das anteilig -und das meist im Nachhinein- von der Rente abgezogen.
Für die teilweise Erwerbsminderungsrente wird die Hinzuverdienstgrenze individuell berechnet. Während sie vor 2023 bei jährlich 14.798,70 Euro lag, beträgt sie seit diesem Jahr 35.647,50 Euro.
Für die volle Erwerbsminderungsrente galt bis 2022 eine feststehende Hinzuverdienstgrenze von 6.300 Euro pro Jahr, also 525 Euro im Monat. Seit 2023 wurde die Hinzuverdienstgrenze zur vollen EM-Rente endlich auf 17.823,75 Euro jährlich angehoben.
Darüber hinaus darfst du nur so viel arbeiten, wie von der Deutschen Rentenversicherung festgelegt wurde. Also bei einer Rente wegen voller Erwerbsminderung weniger als 3 Stunden täglich und bei einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung weniger als 6 Stunden täglich 1.
In der Zeit der ersten Antragsstellung, in der ich nicht wusste, ob ich überhaupt EM-Rente bekommen würde, ob teilweise oder voll und wie viel ich ausbezahlt bekomme, habe ich also mehr als 525 Euro im Monat verdient um meinen Lebensunterhalt in Hamburg bestreiten zu können. Obwohl ich sofort bei Antragsstellung alle erforderlichen Unterlagen einreichte, dauerte es ganze 18 Monate bis sie genehmigt wurde. Das hieß: Über ein Jahr lang Ungewissheit.
Als sie dann endlich – nach 18 Monaten – genehmigt wurde, musste ich meinen Verdienst nachweisen und sie wurde mir fast vollständig wieder gestrichen. Ich bekam im ersten Jahr sowas wie 60 Euro im Monat ausgezahlt. Und das obwohl ich nur circa 800-1000 Euro brutto im Monat verdient hatte und zusätzlich von Erspartem lebte. Auch in den Folgejahren bekam ich nicht sehr viel mehr ausbezahlt, da ich einfach mehr als 1000 Euro im Monat zum Leben brauche.
Daher wurde es höchste Zeit, dass die Hinzuverdienstgrenze angehoben wurde. Ich bekomme daher dieses Jahr das erste Mal meine volle EM-Rente von 585 Euro ausbezahlt. Und das nach 7 Jahren chronischer, sehr stark beeinträchtigender Krankheit!
Den Grad der Behinderung (gdb) bei Migräne und den Behindertenausweis bekam ich dahingegen sehr schnell ausgestellt und der besagt ja auch, wie sehr mich die chronische Migräne und meine Begleiterkrankungen dabei behindern am normalen Leben teilzunehmen.
Wichtig zu wissen!
Wenn du vor Erreichen des 65. Lebensjahrs eine EM-Rente beziehst, musst du mit Abschlägen rechnen. D.h. dass anteilig etwas von deiner zukünftigen und somit auch von der Altersrente abgezogen wird. Der Abschlag beträgt 0,3 Prozent pro Monat aber maximal 10,8 Prozent 3.
Erwerbsminderungsrente mit Migräne beantragen: Ablauf
1. Antragstellung
Um eine Erwerbsminderungsrente mit Migräne zu erhalten, musst du einen Antrag beim zuständigen Rentenversicherungsträger stellen. Dies geht heutzutage auch online auf der Seite der Deutschen Rentenversicherung. Danach wird geprüft, ob ein Anspruch besteht. Wie ich bestätigen kann, kann das Verfahren sehr langwierig sein. Teilweise dauert es mehrere Jahre, bis eine EM-Rente bewilligt ist.
Mein Tipp: Gehe bei der Antragstellung ganz genau vor und lege alle erforderlichen Unterlagen bei. Es hilft immens, wenn du Arztbriefe, Krankenhausaufenthalte und Diagnosen schriftlich belegen kannst. Gib auf jeden Fall alle bei dir vorliegenden Erkrankungen an. Beantrage in diesem Zuge auch unbedingt einen Behindertenausweis (gdb Migräne) und reiche ihn ggfs. dem Antrag nach.
Ich war damals sehr verzweifelt und war in sehr vielen Kliniken und bei sehr vielen Ärzt:innen. Und ich hatte von überall Arztbriefe und Nachweise, so dass sie im Endeffekt meinen Antrag durchwinken hätten können. Dennoch dauerte es 18 Monate. Du kannst dir vorstellen, wie lange es dauert, wenn die DRV noch Unterlagen nachfordern muss.
2. Rentenkontenklärung
Meist wird zuerst eine Klärung deines Rentenkontos durchgeführt. Dort wirst du aufgefordert alle deine Zeiten, in denen du in die Rentenversicherung gezahlt hast, aufzulisten. Ich habe alle meine Unterlagen geordnet vorliegen und hatte damit keine Probleme, aber heutzutage wo man eben mehrere unterschiedliche Arbeitgeber:innen im Laufe seines Lebens hat, kann dies schon eine ordentliche Hürde sein.
Denn du musst wirklich alles angeben: Ausbildungszeiten, Zeiten der Arbeitslosigkeit oder Krankheit sowie alle bezahlten und unbezahlten Tätigkeiten. Und dies auch mit Nachweisen, wenn möglich. Dazu gehören z.B. auch die Geburtsurkunden deiner Kinder und Ausbildungs- sowie Arbeitsverträge. Die DRV überprüft dann ob das mit dem übereinstimmt, was ihnen an Versicherungszeiten vorliegt 1.
Ein lückenloser Lebenslauf sowie alte Ausbildungsverträge und Arbeitsverträge können helfen. Das Gute: man muss diese Kontenklärung auch vor der Regelaltersrente machen. Von daher ziehst du diesen Schritt nur vor. Zeit, dein Leben und deinen persönlichen Aktenschrank aufzuräumen.
3. Einladung zum Sozialmedizinischen Dienst
In über 90% der Fälle folgt irgendwann eine relativ kurzfristige Einladung zu einem ärztlichen Gutachten des sozialmedizinischen Dienstes, zu dem du persönlich erscheinen musst. Bringe zu diesem Termin am besten auch alle Unterlagen, insbesondere Diagnosenachweise, Arztbriefe und Klinikberichte mit 5.
Sei du selbst und schildere den Ärzt:innen vor Ort, wie es dir geht und wie sehr die Erkrankung deinen Alltag beeinträchtigt. Hier hatte ich wenigstens Glück: ich hatte ein sehr nettes und verständnisvolles Gespräch und nur eine kleine körperliche Untersuchung. Ich höre aber immer wieder leider auch von gegenteiligen Erfahrungen.
Beratung und Hilfe bei der Antragsstellung
Beratung und Hilfe erhältst du beim sozialen Dienst in jeder Klinik, in den Beratungsstellen der DRV selber sowie bei Sozialverbänden wie dem VDK und dem SoVD.
Eine Checkliste zur Beantragung der Erwerbsminderungsrente
Eine Checkliste zur Beratung der Erwerbsminderungsrente findest du auf der Webseite der DRV und z.B. als PDF auf der Webseite des VDK.
Mein persönliches Fazit
Die Erwerbsminderungsrente mit Migräne ist für mich Fluch und Segen zu gleich. Denn natürlich ist es für mich eine extreme Erleichterung circa 600 Euro im Monat weniger verdienen zu müssen, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Und ich bin darüber sehr dankbar. Aber die Antragsstellung an sich und die langwierigen Abläufe bei der DRV mit dieser ständigen Ungewissheit sind nervenaufreibend und haben mich teilweise in den Wahnsinn getrieben. Dabei habe ich auch einige Tränen vergossen. Es ist einfach sehr kräftezehrend, denn man beantragt die Erwerbsminderungsrente ja nur, wenn man eh schon durch eine stark beeinträchtigende Erkrankung wie Migräne gebeutelt ist.
Quellen
- Deutsche Rentenversicherung/DRV (2023): „Erwerbsminderungsrenten“ In: https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Rente/Allgemeine-Informationen/Rentenarten-und-Leistungen/Erwerbsminderungsrente/erwerbsminderungsrente_node.html (letzter Aufruf: 30.10.2023)
- Deutsche Rentenversicherung/DRV (2023a): Erwerbsminderungsrenten im Zeitablauf 2023. In: https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Statistiken-und-Berichte/statistikpublikationen/erwerbsminderungsrenten_zeitablauf.html (letzter Aufruf 30.10.2023)
- Sozialverband VDK Deutschland e.V. (2018): Informationen rund um die Erwerbsminderungsrente. In: https://www.vdk.de/deutschland/pages/themen/rente/73773/erwerbsminderungsrente_voraussetzungen_und_tipps?dscc=ok (letzter Aufruf 30.10.2023)
- Die Bundesregierung (2023): Mehr Geld für Renterinnen und Rentner. In: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/arbeit-und-soziales/rente-ost-west-angleichung-2172482#:~:text=Ein%20Jahr%20fr%C3%BCher%20als%20geplant,nun%20einheitlich%2037%2C60%20Euro.&text=Seit%201.%20Juli%202023%20bekommen,5%2C86%20Prozent%20im%20Osten (letzter Aufruf 30.10.2023)
- Sozialverband Deutschland /SoVD (2020): „Erwerbsminderungsrente: Das können Sie tun, damit der Gutachter die Rente befürwortet!“ In: https://www.sovd-sh.de/aktuelles/meldung/erwerbsminderungsrente-das-koennen-sie-tun-damit-der-gutachter-die-rente-befuerwortet (letzter Aufruf 30.10.2023)