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Migräne & Stigmatisierung

Migräne ist die dritthäufigste Erkrankung weltweit und trotzdem hochstigmatisiert. Neuere Studien belegen, dass Betroffene somit zudem stark unter den Vorurteilen und Fehleinschätzungen leiden.

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Migräne ist die dritthäufigste Erkrankung weltweit1. Rund 10 bis 15 % der Weltbevölkerung leidet unter der belastenden Kopfschmerzerkrankung. In Deutschland sind das ungefähr 9 Millionen Menschen, die von immer wiederkehrenden Kopfschmerzen sowie weiteren stark einschränkenden Migräne-Symptomen betroffen sind.  

Davon leiden etwa 15 %, unter der speziellen Form der Migräne mit Aura und Frauen sind, unter andrem aufgrund von Hormonschwankungen, ungefähr dreimal häufiger von Migräne betroffen als Männer. Trotz der hohen Zahl gilt Migräne aber als unterdiagnostiziert und oft unzureichend behandelt, was zu einer extra hohen Belastung der Migräne-Betroffenen führt2–4. Dadurch sind die Migräne-Betroffene in ihrer Lebensführung stark eingeschränkt und können bei starker Ausprägung einen Grad der Behinderung und die Erwerbsminderungsrente beantragen. Tatsächlich ist Migräne -nach Schlaganfall und Demenz- der dritthäufigste Grund für eine Behinderung.  

Doch damit nicht genug: Zwei aktuelle Studien aus den USA und Europa5,6 zeigen, dass ein Großteil aller Migräne-Betroffenen sich stark stigmatisiert fühlt und unter den negativen Folgen leidet.  

Was ist Stigmatisierung?

Der Begriff „Stigma“ kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet so viel wie „Stich“, „Punkt“ oder „Wundmal“. In der Antike war ein Stigma ein Zeichen oder Brandmal, das als Kennzeichnung auf die Haut von Sklaven, Verräterinen oder Kriminellen angebracht wurde. Es sollte zeigen, dass die betroffene Person von der Gesellschaft als minderwertig oder verachtenswert betrachtet wurde7,8

Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Bedeutung des Begriffs erweitert. Heute steht „Stigma“ symbolisch für ein Merkmal, das eine Person oder eine Gruppe sozial „brandmarkt“ oder „ausgrenzt“. Dabei wird etwas von der Gesellschaft negativ bewertet, was oft zu Vorurteilen und Diskriminierung führt. 

Beispielsweise spricht man von einem Stigma, wenn Menschen aufgrund von Krankheiten, sozialer Herkunft, psychischen Problemen oder anderen Eigenschaften benachteiligt werden und Ablehnung erfahren7,8.

Wie äußert sich Stigmatisierung?

In der 2024 durchgeführten OVERCOME-Studie in den USA wurden rund 60 0000 Migräne-Betroffene und in der ebenfalls 2024 durchgeführten Studie der Europäischen Migräne- und Kopfschmerzallianz (EMHA) wurden über 4.000 Menschen mit und ohne Migräne in ganz Europa befragt. Dort berichten Migräne-Betroffene:   

  • dass ihnen das Gefühl vermittelt wird, dass die Erkrankung ihre eigene Schuld sei 
  • dass andere oft denken, sie würden sich durch die Migräne Vorteile erschleichen, wie zum Beispiel das Erhaschen von mehr Aufmerksamkeit oder eine Möglichkeit, sich vor ihren Aufgaben bei der Arbeit, in der Familie oder im Freundeskreis zu drücken 
  • dass Migräne oft mit normalen Kopfschmerzen gleichgesetzt werde 
  • dass andere die Krankheitslast unterschätzen oder bagatellisieren 
  • dass sich Freunde und Bekannte von ihnen zurückziehen oder dass fremde Menschen den Kontakt von vorneherein vermeiden 
  • dass abfällig über den Betroffenen gesprochen wird 
  • von generellem Unverständnis und Verurteilung

Und leider macht Stigmatisierung auch nicht vor dem Gesundheitssystem Halt: 
74 % der Migräne-Betroffenen haben das Gefühl, dass medizinische Fachkräfte ihre Erkrankung nicht ernst nehmen. 35 % von ihnen vermeiden sogar Arztbesuche oder zögern sie hinaus, aus Angst vor Verurteilung und Unverständnis6.  

Folgen von Stigmatisierung

Nach Angaben der WHO ist Stigmatisierung eine der Hauptursachen für Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung und kann erhebliche Schäden bei den Betroffenen anrichten. In der OVERCOME-Studie in den USA wurde beispielsweise festgestellt, dass die Stigmatisierung von Migräne-Betroffenen mit einer stärkeren Behinderung, einer höheren Belastung und einer geringeren Lebensqualität verbunden war – und das unabhängig von der Zahl der monatlichen Schmerztage5.  
Stigmatisierung kann9–13:  

  • das Selbstwertgefühl der Betroffenen schwächen 
  • zu Störungen von familiären Beziehungen führen  
  • die Teilhabe am sozialen Leben erschweren 
  • Schwierigkeiten bereiten, Arbeit zu finden oder im Job zu bleiben  
  • dazu führen, dass seltener Behandlungen in Anspruch genommen werden oder abgebrochen werden  
  • chronische Schmerzen verschlimmern 
  • Stress bei den Betroffenen hervorrufen 
  • und zu einer geringeren Lebensqualität führen

Migräne und andere primäre Kopfschmerzerkrankungen erhalten im Verhältnis zu ihrer Prävalenz (zahlenmäßiges Auftreten in der Gesellschaft) und den von ihnen verursachten Behinderungen nicht genügend Forschungsmittel, medizinische Ressourcen oder andere Formen der strukturellen Unterstützung. In der neueren Forschung wird argumentiert, dass die mit Kopfschmerzerkrankungen verbundene Stigmatisierung einen Teil dieser Diskrepanz erklärt12.  


Wusstest du beispielsweise, dass erst Anfang der 90er Jahre die ersten migränespezifischen Akut-Medikamente, die Triptane, entwickelt wurden und erst knappe 20 Jahre später (2018) das erste Migräne-Prophylaxe auf den Markt kam: die CGRP-Antikörper (auch als sog. Migränespritze bekannt). Vorher wurden zur Migräneprophylaxe und Akutmedikation ausschließlich Medikamente eingesetzt, die für andere Erkrankungen entwickelt wurden wie z.B. Bluthochdruck-Medikamente wie die Betablocker, Antidepressiva oder Antiepileptika. 

 
Mittlerweile gibt es glücklicherweise weitere Innovationen in der Migränetherapie wie Ditane und Gepante oder nicht-medikamentöse Maßnahmen, wie die App auf Rezept sinCephalea Migräneprophylaxe, die mit der Einführung einer blutzuckerstabilisierenden Ernährung erfolgreich die Schmerztage und -intensität von Migräne-Betroffenen reduziert.

Ursachen von Stigmatisierung

Um Stigmatisierung zu bekämpfen, ist es wichtig die Ursachen der Stigmatisierung zu verstehen. Eine der Hauptursachen ist, dass Migräne eine unsichtbare Behinderung ist. Betroffene werden meist nur von der Gesellschaft wahrgenommen, wenn sie im Leben stehen, weil sie gerade eine schmerzfreie Phase haben oder mittels erfolgreicher Akutmedikation wieder einsatzfähig sind. In den Phasen, in denen Betroffene mit quälenden Schmerzen im Bett liegen, werden sie allenfalls von Partnern, Freundin oder engere Familienmitglieder gesehen.

Zusammengefasst sind die Hauptursachen für Stigmatisierung von Migräne-Betroffenen: 

  1. mangelndes gesellschaftliches Verständnis für die Erkrankung (aufgrund von Unsichtbarkeit der Symptome) 
  2. mangelndes Allgemein-Wissen über die Erkrankung 
  3. existierende Mythen und Missverständnisse über die Erkrankung

Was können wir gegen Stigmatisierung tun? 

Nicht nur die Politik und das Gesundheitssystem ist gefragt. Auch Migräne-Betroffene selbst können helfen der Stigmatisierung entgegenzuwirken, durch:  

  1. Aufklärung und Vermittlung von Wissen 
  2. Persönlicher Kontakt mit Nicht-Betroffenen 
  3. Offener Umgang mit der Erkrankung

Anstatt uns also resigniert zurückzuziehen, sollten wir den Kontakt und das Gespräch suchen und Ratschläge wie: „Trinkst du auch genug?“, „Hast du schon mal Yoga ausprobiert?“ oder „Eine Freundin hatte auch Migräne und die XY gemacht und dann war es weg“ nicht unkommentiert lassen. Dies sind sicherlich nett gemeinte Ratschläge und wir sollten uns dadurch nicht angegriffen fühlen. Aber wenn wir das unkommentiert stehen lassen, verfestigt sich die Stigmatisierung von Migräne-Erkrankten nur weiter.  

Aufgrund der Ergebnisse der beiden Studien aus dem letzten Jahr, wird sogar zu einem „Rebranding“ der Migräne-Erkrankung geraten. Damit sind neue Strategien zur Definition und Kommunikation von Migräne in der Öffentlichkeit gemeint und dazu gehört beispielsweise die Verwendung einer einheitlichen Sprache, eine umfassende Aufklärung sowie Lobbyarbeit. Teilweise passiert das auch schon: 
 
Organisationen, wie die European Migraine & Headache Alliance (EMHA), eine Non-Profit-Betroffenen-Organisation, der auch die MigräneLiga e.V. Deutschland angehört, und die die oben vorgestellte Studie in Europa durchgeführt hat, leistet da bereits wertvolle Aufklärungsarbeit. Sie möchte zeitnah ein neues Kategorisierungssystem einführen, um den Schweregrad der Migräne effektiv darzustellen und hat dafür beispielsweise 2020 mit dem Webinar „The Missing Lesson“ („die fehlende Lektion“) darauf aufmerksam gemacht wie sich Defizite in der Ausbildung von Medizin-Studierenden auf die Diagnose und Therapie von Migräne-Betroffene auswirken.  

Und natürlich wollen auch wir von sinCephalea mit unserem Migräne-Blog einen Beitrag dazu leisten über die Migräne-Erkrankung aufzuklären. 

Fazit

Migräne ist eine weit verbreitete, aber häufig unterschätzte neurologische Erkrankung, die Millionen von Menschen weltweit betrifft und deren Auswirkungen weit über die reinen Kopfschmerzen hinausgehen. Die Stigmatisierung der Betroffenen verschärft die Belastung durch Vorurteile, mangelndes Verständnis und Diskriminierung – und das sogar im Gesundheitssystem.  

Die Stigmatisierung hat erhebliche negative Folgen für die Betroffenen in Bezug auf Lebensqualität, soziale Teilhabe und den Zugang zu adäquater Behandlung. Um diesem Problem entgegenzuwirken, sind Aufklärung, offene Kommunikation und die Förderung gesellschaftlichen Verständnisses entscheidend. Organisationen wie die EMHA oder die Migräne-App auf Rezept, sinCephalea, spielen eine wichtige Rolle, indem sie über die Erkrankung aufklären. 

Quellen

1. GBD 2017 Disease and Injury Incidence and Prevalence Collaborators. Global, regional, and national incidence, prevalence, and years lived with disability for 354 diseases and injuries for 195 countries and territories, 1990-2017: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2017. Lancet Lond Engl. 2018;392(10159):1789-1858. doi:10.1016/S0140-6736(18)32279-7 

2. Lipton RB, Bigal ME, Diamond M, et al. Migraine prevalence, disease burden, and the need for preventive therapy. Neurology. 2007;68(5):343-349. doi:10.1212/01.wnl.0000252808.97649.21 

3. Stovner L, Hagen K, Jensen R, et al. The global burden of headache: a documentation of headache prevalence and disability worldwide. Cephalalgia Int J Headache. 2007;27(3):193-210. doi:10.1111/j.1468-2982.2007.01288.x 

4. Yoon MS, Katsarava Z, Obermann M, et al. Prevalence of primary headaches in Germany: results of the German Headache Consortium Study. J Headache Pain. 2012;13(3):215-223. doi:10.1007/s10194-012-0425-x 

5. Shapiro RE, Nicholson RA, Seng EK, et al. Migraine-Related Stigma and Its Relationship to Disability, Interictal Burden, and Quality of Life: Results of the OVERCOME (US) Study. Neurology. 2024;102(3):e208074. doi:10.1212/WNL.0000000000208074 

6. Stigma survey 2023. European Migraine & Headache Alliance. Accessed January 12, 2025. https://www.emhalliance.org/project/stigma-survey-2023/ 

7. Goffman E. Stigma: Notes on the Management of Spoiled Identity. Simon and Schuster; 2009. 

8. The Stigma of Disease and Disability: Understanding Causes and Overcoming Injustices. American Psychological Association; 2014. Accessed January 12, 2025. https://www.jstor.org/stable/j.ctv1chrz90 

9. Präsentation: MOSAIC-Toolkit der WHO zur Beendigung von Stigmatisierung und Diskriminierung im Bereich der psychischen Gesundheit. Accessed January 12, 2025. https://www.who.int/europe/de/news-room/events/item/2024/10/10/default-calendar/launch–who-mosaic-toolkit-to-end-stigma-and-discrimination-in-mental-health 

10. Korkmaz S, Kazgan A, Korucu T, Gönen M, Yilmaz MZ, Atmaca M. Psychiatric symptoms in migraine patients and their attitudes towards psychological support on stigmatization. J Clin Neurosci Off J Neurosurg Soc Australas. 2019;62:180-183. doi:10.1016/j.jocn.2018.11.035 

11. Parikh SK, Young WB. Migraine: Stigma in Society. Curr Pain Headache Rep. 2019;23(1):8. doi:10.1007/s11916-019-0743-7 

12. Parikh SK, Kempner J, Young WB. Stigma and Migraine: Developing Effective Interventions. Curr Pain Headache Rep. 2021;25(11):75. doi:10.1007/s11916-021-00982-z 

13. Weltgesundheitsorganisation. Gesundheit 2020: sozialer Schutz und Gesundheit. Published online 2015. Accessed January 12, 2025. https://iris.who.int/handle/10665/363289 

Über den/die Autor:in

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Miriam Jansen

Miriam musste wegen chronischer Migräne ihren Beruf aufgeben - und wurde in dieser Zeit zur Migräne-Expertin. Die Migräne hat ihr zu einem radikalen Lebenswandel verholfen: Sie lebt nun als digitale Nomadin in ihrem Bus und arbeitet als Texterin & als Schäferin auf einer Alp.
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